- Kongo: Nagel- und Spiegelfiguren - Gegen die Angst vor Hexerei
- Kongo: Nagel- und Spiegelfiguren - Gegen die Angst vor HexereiNagel- und Spiegelfiguren kommen nahezu ausschließlich an der Kongomündung vor, die Nagelfiguren wiederum fast ausschließlich nördlich des Kongoflusses im Mayombe. Dieses Gebiet wurde von der alten portugiesischen Kongo-Mission ab 1484/85 kaum berührt, da es damals nicht mehr zum alten Reich Kongo gehörte. Sowohl Nagel- als auch Spiegelfiguren werden im Kikongo, der Sprache der Kongo, »Nkisi« genannt. Diese Bezeichnung kann jedes Objekt erhalten, das mit einer besonderen Kraft in Verbindung gebracht wird: eine Kopfschmerztablette, eine aktive Maske und eben auch eine Nagelfigur. Die Figuren werden sehr oft als »Nagel-« beziehungsweise »Spiegelfetische« bezeichnet. Diese Bezeichnung leitet sich vom portugiesischen Wort »feitiço« (= Zauber) ab, das wiederum auf das lateinische Wort »factitius« (von facere = machen) zurückgeht. Die Portugiesen glaubten, die Afrikaner beteten handgemachte Objekte an.Da das Kongo-Reich ab 1484/85 missioniert wurde - der Mani Kongo, der König des Kongoreiches, und sein Sohn wurden 1491 getauft -, vertreten Ethnologen häufig die Meinung, die Nagelfigur gehe auf das christliche Kruzifix, die Spiegelfigur auf das christliche Brustreliquiar zurück. Das Kruzifix hat zwar im Kongoreich viele Veränderungen durchgemacht, aber einen Beweis für einen essenziellen Zusammenhang zwischen Kruzifix und Nagelfigur gibt es bis heute nicht, zumal Nagelfiguren im Mayombe zu Hause sind, wo die frühe Mission gar nicht wirkte. Auch ein Zusammenhang der Spiegelfiguren mit den Brustreliquiaren lässt sich nicht beweisen, denn Brustreliquiare tauchen in den Schiffslisten der Portugiesen nicht auf. Außerdem wird ein Spiegel weltweit als magisches Objekt betrachtet, mit dem man in die Zukunft sehen und Widersacher erkennen und bannen kann.Spiegel- wie Nagelfiguren besitzen auf der Brust oder dem Bauch eine magische Ladung. Diese muss von Zeit zu Zeit aktiviert werden, damit der Fetisch tätig wird. Die Nagelfiguren werden auch zum Schaden anderer Menschen verwendet; sie gelten als Rachefetische. Ein Missionar berichtete um die Jahrhundertwende aus dem Mayombe, dass der neu geschnitzte Fetisch mit einem jungen Mädchen abends in ein Zimmer gelegt wurde. Morgens war das Mädchen tot, und sein Geist belebte nun den Fetisch. Nach Pater Leo Bittremieux sollen sich im Medizinbeutel einer Nagelfigur einmal neun Mädchenherzen gefunden haben. Große und mächtige Fetische sollen nach allgemeiner Ansicht Menschenopfer verlangen, um aktiv zu Diensten zu sein. Bisweilen lässt sich auch feststellen, dass die Eisennägel und Metallklingen in glühendem Zustand in die Holzfigur getrieben wurden. Offensichtlich wollte man dem Fetisch wehtun, damit er gereizt wird und den Feinden um so stärker zusetzt. Das Geschlecht wird an Nagelfiguren oft überhaupt nicht markiert. Eine Ausnahme bildet der Nkonde-Fetisch: Er wird meist mit Vollbart dargestellt. Angeblich geht er auf einen Häuptling zurück, der Übeltäter verfolgte.Da die Europäer, die die Figuren gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kongo einsammelten, diese nur als magische Idole und Kuriosa ansahen, lag ihnen auch gar nicht daran, mehr über den Sinngehalt und die Symbolik der Objekte zu erfahren. Die Literatur aus dieser frühen Zeit ist spärlich, und heute wissen die Afrikaner selbst kaum noch um die Funktion dieser imposanten Figuren. Die allermeisten und gleichzeitig die schönsten befinden sich in Museen außerhalb Afrikas.Prof. Dr. Josef Franz ThielBroszinsky-Schwabe, Edith: Kultur in Schwarzafrika. Geschichte — Tradition — Umbruch — Identität. Köln 1988.Kecskési, Maria: Kunst aus dem alten Afrika. Ausstellungskatalog Staatliches Museum für Völkerkunde, München. Innsbruck 1982.
Universal-Lexikon. 2012.